Zwischen den Stühlen ist manchmal der beste Platz:
Die Zukunft des E-Mail-Marketings
zwischen Zero-Mail und sozialen Medien
Die Debatte um neue digitale Marketingformen hat eines der ältesten Tools im Marketing-Mix aus dem öffentlichen Diskurs weitgehend verdrängt: den Kunden-Newsletter.
Dabei ist der Newsletter in seiner aktuellen Form als E-Mail-Marketing heute nicht weniger bedeutsam als früher. Im Gegenteil: Im modernen Online-Marketing-Mix spielt E-Mail-Marketing eine zentrale Rolle. Aber das Image des E-Mail-Marketings befindet sich in der veröffentlichten Meinung der Medien im Sinkflug. Dabei leidet E-Mail-Marketing nicht nur unter der hippen Konkurrenz seitens Facebook und Co., sondern auch unter dem schlechten Ruf des E-Mails als primäre Inhouse-Kommunikationsform.
Insbesondere die vielzitierte „Zero-Mail“-Kampagne beim IT-Unternehmen Atos hat das Negativ-Bild zur E-Mail weiter befördert: Unter dem Stichwort „Zero-Mail“ versucht das Unternehmen seit drei Jahren das Werkzeug E-Mail für die weltweit 77.000 Mitarbeiter weitgehend abzuschaffen und so dem Information-Overflow ein Schnippchen zu schlagen. Thierry Breton, Chairman und CEO bei Atos, formuliert die Aufgabe so:
Wir produzieren riesige Datenmengen, die unsere Arbeitsumgebung buchstäblich überwuchern und auch im privaten Bereich bereits Überhand nehmen. Daher versuchen wir bei Atos jetzt, eine Kehrtwende einzuleiten. Ähnliches geschah nach der industriellen Revolution, als Unternehmen erste Maßnahmen im Kampf gegen die Umweltverschmutzung trafen.
Klare Unterscheidung zwischen interner und externer Kommunikation
Die Projektverantwortlichen haben sicherlich recht, wenn sie das E-Mail-Chaos im eigenen Haus beschreiben:
„Das Volumen ein- und ausgehender E-Mails hat inzwischen einen für die Geschäftswelt nicht mehr tragbaren Umfang angenommen. Schätzungen zufolge verbringen Führungskräfte zwischen fünf und 20 Stunden pro Woche allein mit dem Lesen und Schreiben von E-Mails. Parallel dazu arbeiten sie bereits verstärkt mit sozialen Netzwerken und verbringen ca. 25 Prozent ihrer Zeit mit der Suche nach Informationen.“
Bislang erhielten die Unternehmensmitarbeiter bei Atos im Schnitt ca. 200 Mails pro Tag. Bis Ende dieses Jahres sollen bei Atos keine E-Mails mehr in „wert- und wissensschaffenden internen Prozessen und Projekten“ zum Einsatz kommen. Als Alternative werden Social Business Tools implementiert. Aber auch künftig wird das E-Mail bei Atos seinen Platz für „Nachrichten von und an Kunden und Partner“ behalten.
„Zero Mail“ bedeutet also auch bei Atos nicht den Tod der E-Mails – und erst recht nicht des E-Mail-Marketings.
Die hohe Akzeptanz spricht für E-Mail-Marketing
Das wäre auch fatal. Schließlich genießen E-Mails in Form von Newslettern eine ausgesprochen große Akzeptanz. Und dies nicht nur bei den Werbetreibenden, sondern auch bei den Empfängern: 43 Prozent aller E-Mail-Nutzer in Deutschland sind bei mindestens zehn Unternehmen für Marketing-E-Mails angemeldet. Völlig zurecht setzen deshalb hierzulande mehr als 600.000 Unternehmen auf E-Mail-Marketing. In den USA ist das E-Mail im Marketing-Mix ganz vorne. Die werbenden Unternehmen gaben im vergangenen Jahr rund 1,5 Milliarden US-Dollar für E-Mail-Marketing aus.
Doch stellen insbesondere die sozialen Medien Newsletter-Versender vor völlig neue Herausforderungen. Der Push-Dienst Newsletter wird ergänzt von Pull-Diensten wie Facebook, Twitter und Google+. Die unterschiedlichen Kanäle erfordern eine Multi-Channel-Publikationsstrategie und eine abgestimmte kanalspezifische Aufbereitung der Inhalte. Kurz: es geht um die kanalübergreifende Integration der Zielgruppen, der Inhalte und der Strategien im CRM.
Der eigene Newsletter lässt sich kontrollieren
Dabei sitzt der E-Mail-Newsletter wie die Spinne in der Mitte der kommunikativen Netzwerke: Während soziale Plattformen wie Facebook, YouTube und Twitter ihre Regeln ständig ändern und den Anwendern nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Corporate Identity gewähren, bleiben die eigene Website und der eigene Newsletter die einzigen elektronischen Kanäle, die wirklich von ihrem Eigentümer komplett kontrolliert werden. Hier kann kein unabhängiger Plattformbetreiber einfach die Regeln für Preisausschreiben ändern – wie dies Facebook getan hat – oder Plattformen zur Vorstellung von Produkten und Services komplett einstellen – wie dies LinkedIn derzeit tut. Deshalb ist es so wichtig, die auf sozialen Plattformen generierten Kontakte möglichst schnell in direkte Kontakte im eigenen CRM-System zu überführen und über eigene Tools – die Website, ein Blog, einen Newsletter – mit ihnen zu kommunizieren.
Über den Autor:
Dr. Michael Kausch
ist Inhaber und Geschäftsführer der PR- und Social-Media-Agentur vibrio. Kommunikationsmanagement Dr. Kausch GmbH mit Büros in München, Wien und Zürich. Er ist seit mehr als 25 Jahren in der IT-Branche und konzentriert sich heute auf strategische und konzeptionelle Unternehmensberatung und Coaching im Bereich integrierter Unternehmens- und Marketingkommunikation, Krisen-PR sowie auf strategisches Social Media Marketing.